Architektur und Geschichte der Andreäkirche

Johann Valentin Andreae (1586-1642)

Aus der Denkschrift anlässlich der Einweihung der Andreäkirche im Jahr 1956

Die ersten Anfänge der Andreägemeinde gehen auf das Jahr 1906 zurück. Damals hat eine geistig lebendige, sozial und kirchlich gesinnte Frau, Frau Dr. Riecke, die Aufmerksamkeit der Cannstatter Kirchengemeinde auf das von der Lutherkirche ziemlich weit entfernte neue Wohngebiet im Gewand "Winterhalde" gelenkt, wo im Zusammenhang mit den Eisenbahnerwerkstätten (Bundesbahnausbesserungswerk) ein richtiges Eisenbahnarbeiterdorf entstanden war. Im gemieteten Zimmer einer Privatwohnung wurden im Winter 1906/1907 Bibelstunden eingerichtet. Auf die Bitte des Gesamtkirchengemeinderats hat dann der Ev. Verein am 17. September 1907 die Errichtung und Erhaltung eines Kindergartens im Erdgeschoss des Hauses Schlosserstraße 5 (jetzt Tarnowitzer Straße), das die Bahnverwaltung unentgeltlich zur Verfügung stellte, beschlossen. Am 2. Advent wurde der Saal eingeweiht und am 8. Januar 1908 der Kindergarten mit 97 Kindern eröffnet. Schwester Berta Sauer vom Mutterhaus für evang. Kinderschwestern in Großheppach hat dort über 30 Jahre das Amt als Kinderschwester bekleidet. Der Saal diente von Anfang an auch den Erwachsenen bei Sonntagsgottesdiensten und Bibelstunden, dem Kindergottesdienst und evangelischen Jugendgruppen beiderlei Geschlechts. Eine Gemeindbücherei kam schon bald dazu und selbst ein Glöcklein stellte sich ein. An Beiträgen der bürgerlichen Gemeinde und anderen Stellen der öffentlichen Wohlfahrtspflege fehlte es nicht.

Die "Winterhalde" wurde dem Seelsorgebezirk des II. Pfarramts der Lutherkirche zugeteilt, das bald auch durch Stadtmissionare unterstützt wurde.

Sofort nach dem ersten Weltkrieg - die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder betrug bereits über 2000 - wurde die Errichtung einer eigenen Kirche geplant, nachdem der Ev. Verein schon eine Zeit lang eine frei gewordene Kantine für Gemeindezwecke gemietet hatte. Für den jenseits der Augsburger Straße und der Remstalbahn liegenden , stark wachsenden Teil der Luthergemeinde wurde auf 1. Januar 1920 eine 4. Pfarrstelle gegründet und mit Pfarrer Paul Schick besetzt. Nach langen Verhandlungen mit der Bahnverwaltung wurde das von der Kantine besetzte Grundstück erworben und darauf eine Holzkirche erstellt. Die neu errichtete Winterhaldenkirche wurde 1920 eingeweiht. Sie enthielt 250 Sitzplätze und war mit einer kleinen Glocke und einem Harmonium ausgestattet. Später wurde für den inzwischen gegründeten Kirchenchor aus Mitteln des Gemeindevereins der Winterhalde ein Flügel beschafft. Als Mesner an der Kirche wrude der in der Nähe wohnende Schmied Matthes bestellt, der seinen Dienst bis zur Zerstörung der Kirche versehen hat. Bei aller Einfachheit wurde das Gotteshaus zu einer wirklichen Heimat für die je länger je mehr auch angefochtene und umkämpfte junge Gemeinde.

1929 errichtete der Ev. Diakonissenverein auf Vorstellungen von Pfarrer Friedrich Ettwein (Nachfolger von Pfarrer Schick) eine eigene Diakonissenstation für die Winterhalde. [...]

1937 erfolgte die Erhebung des bisherigen Seelsorgebzirks Winterhalde zur selbständen Teilgemeinde mit eigenem Kirchengemeinderat. Der Ausbruch des Krieges im Jahre 1939 trifft die Winterhaldengemeinde besonders hart. Pfarrer Mohr, der 1935 das Pfarramt der Winterhaldenkirche übernommen hatte, wurde als Kriegspfarrer zum Wehrdienst eingezogen und die Gemeinde nur noch nebenamtlich versehen.

Während der Kindergarten unter dem Druck der Partei schon im Jahre 1938 der Kirchengemeinde verlorengegangen und in städtische Verwaltung übergeführt worden war, blieb wenigstens die Diakonissenstation über die ganze Kriegs- und Nachkriegszeit ihr erhalten.

Das schwerste Unglück traf die Gemeinde am Sonntag, 16. Juli 1944, mit dem Verlust ihrer Kirche. Durch einen Luftangriff um die Mittagszeit wurde das Kirchlein völlig zerstört, nur das Glöcklein und der Flügel blieben notdürftig erhalten.

Als Ausweichraum für den Gottesdienst wurde der Gemeinde freundlicherweise das katholische Gemeindehaus der Augsburger Straße eingeräumt, bis dieses selbst in der Nacht vom 19./20. Oktober zerstört wurde. Einige Zeit musste man sich mit einem Gasthaussaal begnügen, bis sich in zwei leerstehnden Zimmern des Aldingerschen Hauses, Winterhaldenstraße 16, wieder eine notdürftige Unterkunft fand. Die Gemeinde war hirten- und heimatlos geworden, als der Krieg sein furchtbares Ende fand.

Unter Pfarrer Kurt Walter, dem die Pfarrei im August 1945 stellvertretend übertragen worden war, konnte eine große Flugplatzbaracke aus Heeresbeständen erworben werden, die durch die Baufirma Paul Stephan auf dem gemeindeeigenen Platz an der Beuthener Straße aufgestellt und als Kirchenraum mit 350 Sitzplätzen zurecht gemacht wurde. Sie bot auch Raum für den wieder vom Ev. Verein eingerichteten Kindergarten und einen kleinen Konfirmandensaal. Kanzel und Altar wurden durch den Gemeindeverein beschafft. Pfarrvikarin Volz überließ ihr von der Firma E.F. Walcker & Cie. gebautes Pedalpositiv der Gemeinde. Am Sonntag, 16. März 1947, konnte die Notkirche in Anwesenheit des Landesbischof D. Wurm feierlich eingeweiht und in Benützung genommen werden. Sie bekam nun den Namen, den später auch die neuerbaute Kirche und die Gemeinde erhalten sollten, den Namen des einstigen Calwer Dekans und späteren Hofpredigers Johann Valentin Andreä, der sich nach dem Dreißigjährigen Krieg um den äußeren und inneren Aufbau der Kirche im Herzogtum Württemberg in einzigartiger Weise verdient gemacht hatte.

Nach dem Wiederaufbau der Lutherkirche konnte die Gesamtgemeinde den so lang verzögerten Bau der Andreäkirche in Angriff nehmen. Aus einem im Mai 1954 zur Erlangung von Entwürfen ausgeschriebenen Wettbewerb wurde der mit dem 1. Preis ausgezeichnete Entwurf des Architekten, Diplomingenieur Otto Jung, nach eingehender Prüfung als für die Ausführung würdig erkannt. Am 21. April 1955 wurde mit dem Bau begonnen, am 3. Juli 1955 der Grundstein gelegt, am 6. Oktober 1955 das Richtfest gefeiert und am 29. Juli 1956 fand die feierliche Einweihung statt. Wir sind von Herzen dankbar, dass der ganze Bau ohne den geringsten Unfall fertig gestellt werden konnte. Gott halte auch in Zukunft seine Hand über ihm und segne ihn zum Aufbau einer lebendigen Gemeinde, einer "Behausung Gottes im Geiste"!